Freitag wird Uwe begraben. Letztes Jahr hat er noch geholfen, die Weihnachtsmarkthütte aufzubauen. So wie Uwe alle letzten 16 Jahre mitgeholfen hatte, die Hütte aufzubauen. Uwe ist nicht alt geworden, nur 51 Jahre alt.
Uwe, bei unserem letzten Besuch Anfang Oktober, wird am Freitag begraben.
Für mich war der Weihnachtsmarkt am Sonntag kurz vor Mitternacht abgeschlossen. Vier Wochen andauernde Anspannung sind beendet. Obgleich meine Frau nur zu ihrer Mittagspause und für eine weitere Stunde am Nachmittag meine Vertretung in ihrer vier Meter langen und zweieinhalb Meter breiten Hütte angefordert hatte, brachten mich schon diese wenigen Arbeitsstunde an die Grenze des Erträglichen. Zwischen meiner Mittags- und Nachmittags-Schicht in dieser als Unterschichten-Knechtschaft empfundenen Fron verhalf mir ein Mittagsschlaf, mit Kaffee und Weihnachtsgebäck, zu neuen Kräften.
Uwes Vermächtnis: Diese Krippe hat Uwe solide gezimmert und sie wird uns immer an ihn erinnern.
Der Stress, die Spannung war für meine Frau in der erste Marktwoche schon zuviel. Wie die letzten Jahre wieder wehrte sich ihr Körper gegen die Überanstrengung mit einer Grippe. Allein in der Hütte entging mir an einem regnerischen, kalten, zugigen Vormittag ein Hauptgeschäft. Ein amerikanisches Paar ließ sich drei große Lichthäuser vor sich aufstellen. Eine schwierige Arbeit, die empfindlichen Keramik-Gebäude vom höchsten Regal auf die Theke zu balancieren. Der Amerikaner brauchte stabile Verpackungen für diese Ware im Wert von 200 Euro. Mimamai-Stephanie, meine Frau, hätte das alles machen und beschaffen können. Doch sie lag kränkelnd daheim. Den Amerikaner war es zuviel Mühe, sich Pakete bei der nahen Post zu beschaffen, die Ware selbst dort zu verpacken und zu verschicken. So war die Energie für ein stundenlanges Verkaufsgespräch vergebliche Liebesmühe.
Eine schwierige Arbeit, die empfindlichen Keramik-Gebäude vom höchsten Regal auf die Theke zu balancieren.
Die ersten beiden Wochen fürchteten wir, dass dieser Markt unser letzter sein müsse. Das Ergebnis war am Abend zu oft einfach deprimierend. Die Menschenmenge an schlechtgelaunten Großmüttern und Großvätern, die gelangweilt und missmutig an den Auslagen vorbei zogen, war unerträglich. Kaum einer blieb stehen. Jegliche Kundenansprache vertiefte die miese Stimmung, weil die Antworten absehbar waren im gleichen Geraunze: "Hab'm schon. Steht alles voll bei uns." Und so weiter. Wo blieben die Kinder?
"Wo bleiben die Kinder?" Das fragt man sich, wenn nur missmutige Greise an der Hütte vorüber gehen und raunzen: "Hamma-schon-alles..."
Neben der Vier-Meter-Hütte durfte meine Frau ihre Verkaufsfläche um zweieinhalb Meter erweitern. Ein Neubau der Hütte kam nicht in Frage. Ihr Kleingeschäft wirft solche Summen nicht ab, eine neue Hütte bauen zu lassen. Also kam sie als Klein-Unternehmerin auf die Idee, Schlitten auf dem Weihnachtsmarkt zu verkaufen. Als Blickfang sollte uwe ein Krippe bauen. Die Krippe hat Uwe so solide gebaut, dass schon zwei, drei Jäger sie nach dem Ende des Marktes kaufen wollten. Wir haben ihnen dann immer die Adresse von Uwe gegeben. Doch Uwe wird keine Krippe mehr bauen. Uwe wird am Freitag begraben. Auch die Vögelhäuser, die Uwe mit Hölzern aus dem Wald hinter seinem Haus gebaut hat, sind alle verkauft. Sein Sohn kann keines der kleinen Kunstwerke mehr im Gedenken an den Vater bekommen. Mein Marktweiblein hat alle Vogelhäuschen schon im ersten Jahr verkauft. Über die Schlitten hat Mima in der Krippe Vogelhäuser aufgehängt. Für die nächsten Märkte haben wir Vogelhäuschen aus Tschechien geholt. Bis auf eines sind auch diese alle wieder verkauft.
Umsätze und Gewinn sinken seit Jahren: Drei Ursachen sind für mich leicht auszumachen.
1. Alte Menschen erinnern sich zwar gern an ihre Jugend, wo sie mit Blechspielzeug spielten, kaufen aber keines mehr.
2. Es gibt immer weniger Kinder. Also kaufen die Alten für ihre Enkel auch weniger.
3. Seit Jahren verteilen die herrschenden Eliten das Geld von unten nach oben, nicht zuletzt um exorbitante Manager- und Bangster-Boni zu finanzieren und deren bankrotten Geschäfte zu retten.
Propaganda oder Tatsachen? Unzählige Berichte beschreiben die Situation. Doch jeder liest immer nur das, was ihm gefällt, wozu man sein "LIKE-IT-KNÖPFCHEN" drückt.
In den letzten beiden Wochen besserte sich der Umsatz - endlich. Wie in theatralischer Comedy-Show, wie ein Marktschreier konnten kaum Besucher an unserer Hütte vorbeigehen, ohne über meine Ansprache zu lächeln: "Licht, Spiel, Duft und Glanz aus unserer Hütte für Ihre Hütte!" Die Marktfrau vom Strumpfstand gegenüber dröhnte dagegen: "Alles billig! Heute alles billiger!"
Die Marktfrau vom Strumpfstand gegenüber dröhnte dagegen: "Alles billig! Heute alles billiger!"
Mein Gefühl wollte nicht weichen, mein Gefühl, dass Marktkaufleute als gesellschaftliche Unterschicht um ihr Geld kämpfen. Doch Marktkaufleuten geht es vergleichsweise gut. Einige Menschen aus Kasachastan säubern die Toiletten. 50 Cent kostet der Klo-Besuch. Marktkauf-Leute erkämpfen sich dort freien Zugang. Nach einer frierend frustrierenden Stunde in der Marktbude ohne einen einzigen Verkauf gibt es kein Mitgefühl mehr für die Toilettenfrau, die 50 Cent von einem frierenden Pisser fordert und mich dazu am Ärmel festhält: "Sie fassen mich nicht an!" zischt es wütend aus mir.
Die Menschen aus Kasachstan, die die Toilettenanlagen warten dürfen, sind immer noch nicht das untere Ende der sozialen Schicht. Busladungen von Bettlern, vermutlich aus Rumänien, knien in Scharen an vielen Punkten der Stadt, um Almosen zu gewinnen.
Anderntags arbeitet dort einer ihrer Kollegen. In radebrechendem Russisch-Deutsch lächelt er mir zu und meint: "Hitler tot!" Wir lachen beide, werden wie Freunde. Mima schenkt ihm ein paar Kleinigkeiten aus ihrer Hütte, selbst geknetete Blütenkerzen.
Diese Musikanten beschallen gerade die Gasse, in der Mima in ihrer Hütte Spieluhren verkaufen will. Doch der Klang dieser zarten Geräte geht unter, wenn die Flöten aus den Anden pfeifen.
Endlich stellt sich etwas besserer Umsatz ein, endlich. Als erstes sind die größeren Vögelhäuser verkauft, selbst als Mima sie noch um drei Euro teurer gemacht hat. Eine feine Dame flötet: "Haben Sie denn nicht mehr das Haus mit den schönen Schindeln? Nein?! Das ist aber schade. Heute ist mein Mann nämlich da, der es zum Auto tragen kann."
Mima führt ein Spielzeug vor. Doch Besucher mit Glühwein oder Bratwurst-Brötchen lassen sich lieber unterhalten als etwas zu kaufen.
Die Autos stehen 40 Meter weiter unter unserer Markthütte in der Tiefgarage. Mir ist mein Marktweiblein, was meistens lacht und scherzt, lieber. Wir werden zu einem Team, was unglaublich gut harmoniert. Wieder einmal sind Schiebelehnen für ihre Schlitten verkauft. Ein Stück kostet 48 Euro. In einer Garage lagert ihr Nachschub. Auf dem alten Damenfahrrad, was wir von meiner mittlerweile 90jährigen Tante geholt haben, karre ich ihren Nachschub heran. Vier zusammengeklappte Schiebelehnen hängen mir über eine Schulter. Der Fußgängerweg erscheint mir sicherer für die fragile Fracht. Ein oberlehrerhafter Gut-Bürger gibt unwillig den Weg mir frei auf dem Bürgersteig, nicht ohne mich anzumaunzen: "Das ist kein Fahrweg." 400 Meter vor dem Markttrubel bleibt das Rad verschlossen stehen. Auf jeder Schulter zwei Lehnen kämpft sich mein erschöpfter, entnervter Körper und Geist an einem der zahlreichen Kruzifixe vorbei zur Markthütte. Mima verkauft fröhlich wie immer und freut sich über den Nachschub. Dass es regnet, wie meistens, ist klar.
Schon liegen die Schiebelehnen unter dem Dach von Uwes Krippe, was Mima mit echten Lärchenholzschindeln hat decken lassen. Wie diese kleine Unternehmerin auf diese Ideen kommt, Freunde findet, die ihr helfen, ihr gerne helfen, sie lieben, mit ihr lachen. Mir ist das ein Rätsel. Meine Liebe zu ihr ist ihr Geheimnis, ihr größtes Geheimnis.
Manchmal sind mir die Massen am Markt geradezu unerträglich. Doch die Zeit geht vorüber - wie Menschen an Markthütten.
Manchmal sind mir die Massen am Markt geradezu unerträglich. Die Energie der Menschen klärt manchmal spürbar mein erster Blick. Die Einen wollen sich unterhalten lassen, lachen mit ihrem Glühwein in der Hand. Nach der dritten, vierten Vorführung von einem Kreisel, einem Blechspielzeug chinesischer oder indischer Wertarbeit, reicht es mir: "Nun", bedrängt sie mein Ton bedrohlicher, "nun, für was wollen Sie sich entscheiden?" Das reicht meist, dass sie mit ihren Glühwein-Näpfen lachend und dankend weiter ziehen.
Am Wochenende hilft uns eine fähige junge Verkäuferin, die meiner Mima in Art und Aussehen schon recht ähnlich ist. Beide zusammen wirbeln in der Hütte so erfolgreich, dass ein paar Stunden Freizeit auch meine Wochenenden angenehmer gestalten. Am besten erholt sich mein Körper in der Sauna-Oase im Bambados. Der Weg mit dem Fahrrad dahin ist kalt und etwas mühsam, aber machbar.
Mit unseren "Lastenfahrrädern" bewältigen wir Transporte und Wegstrecken in Bamberg.
Meine Freizeit-Stunden zwischen den Markt-Kauf-Kämpfen gleichen einem geruhsamen Mittelschicht-Rentner-Refugium. Dann entspannt mich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und Gurdjieffs Buch "Beelzebubs Erzählungen an seinen Enkel." Die Zeitung bringt den täglichen Kriegs- und Krimi-Bericht. In der Woche vor Heilig Abend marschierten marschieren vierhundert Einsatzkräfte von Polizei und Steuerfahndung in die DEUTSCHE BANK. Die Polizeibeamten bunkern gleich vier Bangster ein. Der Vorstand beschwert sich bei einem Politiker. Darüber heult die Medienmeute, als wäre der Vorstand einem Hund auf den Schwanz gestolpert. Auf dem Tahir-Platz in Kairo prügeln sich die Massen munter weiter. Die Scharia als Staatsräson macht Sektierern wie der christlichen Minderheit das Leben zur Hölle. Durften zuvor befreundete Diktatoren-Regime ihre Mitbürger foltern, ausplündern und morden, führen nunmehr fromme Muslim-Brüder das blutige Geschäft fort. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Wo nicht genug zu fressen für alle bleibt, da sterben die Schreie - für immer. In Syrien soll der Krieg schon 40.000 Opfer gefordert haben. Soweit die Zeitung - kurz gefasst. Mein Marktweiblein braucht die Zeitung - als Packpapier.
Das Wasser der Regnitz fließt gemächlich durch das alte Bamberg, welches auf einen mehr als 400 Jahre alten nahezu unveränderten Altstadt-Straßenplan stolz ist.
Meine Mimamai war meist vor sechs Uhr früh schon munter. Sie hat sich dann selbst ein Mittagsmahl vorbereitet. Während ihrer Mittagspause hat sie dann ihre Schuhe gewechselt, kaum geruht. Dann klopfte sie wieder an die Holztür ihrer Hütte. Als der Umsatz anfangs so schleppend lief, wollte sie nicht wissen, was wieder nicht verkauft war. Sie sah es ja schon an meinem Gesicht.
Der Weihnachtsmarkt bietet Speis' und Trank im Übermaß. Ein chinesisches Klein-Lokal, vormals das "Bratwurst-Stüberl", verkauft Gemüsesuppe für 1,60 Euro. Den Kloschlüssel verwahrt die Chefin. Es ist warm dort. Es ist so warm, dass sich der Körper von Fellmütze, von Daunenjacke, von Strickjacke und Weste entlasten kann. Nach dem Genuß einer Gemüsesuppe hat der Organismus wieder soviel Wärme gespeichert, dass es weiter gehen kann im Verkaufstrubel. Ein Gericht wie Gemüse mit Tofu kostet 4,50 Euro, die große Portion sechs Euro. Während man dieses Gericht in Ruhe verzehrt, kann man schon bald den Mantelteil der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG studieren - zumindest die Leitartikel. Das sind Sternstunden meines Mittelschichten-Gefühls!
Endlich, endlich ist der Markt vorüber. Am ersten Abend bauen wir Uwes Krippe ab. Damit geht die erste Wagenladung mit der Ladung aus dem Anhänger in Mimas Garagenlager. Es hat den ganzen Tag, auch beim Abbau, geregnet. Die beiden Bodenbretter von Uwes Krippe sind schwer wie Klaviere. Am nächsten Abend folgt der Abbau der Hütte. Zuvor verstauen wir alle unverkaufte Ware vorsichtig durch Zeitungspapier geschützt in Bananen-Kartons. Mein Marktweiblein schleppt seit 30 Jahren Bananenkartons mit ihren Waren. Die Hütte aus 10 Seitenteilen, vier Bodenplatten, den neun Dachsparren und der Plastikplane als Dach ist im Anhänger verstaut. Zuletzt müssen wir alles im Garagenlager verstauen. Danach erstmal erschöpfte Bettruhe. Aufräumen muss und macht mein Marktweiblein wie immer ohne mich.
Endlich, endlich ist der Markt vorbei!
Freie Tage, freie Fahrt: Es ist ein ganz neues Lebensgefühl, wieder zusammen freie Zeit zu genießen.
Nach einem gemeinsamen Weihnachtsfest-Essen mit 11 Menschen beim einfachen Chinesen am Markt schmücken wir noch das Grab von Mimas Eltern, ohne die wir nicht zusammen wären.
Doch wenn das alte Laub gegangen, kommt im Frühjahr frisches Grün.
Alt und jung schaut staunend in die Welt voller Seligkeit.
Uwe, bei unserem letzten Besuch Anfang Oktober, wird am Freitag begraben.
Für mich war der Weihnachtsmarkt am Sonntag kurz vor Mitternacht abgeschlossen. Vier Wochen andauernde Anspannung sind beendet. Obgleich meine Frau nur zu ihrer Mittagspause und für eine weitere Stunde am Nachmittag meine Vertretung in ihrer vier Meter langen und zweieinhalb Meter breiten Hütte angefordert hatte, brachten mich schon diese wenigen Arbeitsstunde an die Grenze des Erträglichen. Zwischen meiner Mittags- und Nachmittags-Schicht in dieser als Unterschichten-Knechtschaft empfundenen Fron verhalf mir ein Mittagsschlaf, mit Kaffee und Weihnachtsgebäck, zu neuen Kräften.
Uwes Vermächtnis: Diese Krippe hat Uwe solide gezimmert und sie wird uns immer an ihn erinnern.
Der Stress, die Spannung war für meine Frau in der erste Marktwoche schon zuviel. Wie die letzten Jahre wieder wehrte sich ihr Körper gegen die Überanstrengung mit einer Grippe. Allein in der Hütte entging mir an einem regnerischen, kalten, zugigen Vormittag ein Hauptgeschäft. Ein amerikanisches Paar ließ sich drei große Lichthäuser vor sich aufstellen. Eine schwierige Arbeit, die empfindlichen Keramik-Gebäude vom höchsten Regal auf die Theke zu balancieren. Der Amerikaner brauchte stabile Verpackungen für diese Ware im Wert von 200 Euro. Mimamai-Stephanie, meine Frau, hätte das alles machen und beschaffen können. Doch sie lag kränkelnd daheim. Den Amerikaner war es zuviel Mühe, sich Pakete bei der nahen Post zu beschaffen, die Ware selbst dort zu verpacken und zu verschicken. So war die Energie für ein stundenlanges Verkaufsgespräch vergebliche Liebesmühe.
Eine schwierige Arbeit, die empfindlichen Keramik-Gebäude vom höchsten Regal auf die Theke zu balancieren.
Die ersten beiden Wochen fürchteten wir, dass dieser Markt unser letzter sein müsse. Das Ergebnis war am Abend zu oft einfach deprimierend. Die Menschenmenge an schlechtgelaunten Großmüttern und Großvätern, die gelangweilt und missmutig an den Auslagen vorbei zogen, war unerträglich. Kaum einer blieb stehen. Jegliche Kundenansprache vertiefte die miese Stimmung, weil die Antworten absehbar waren im gleichen Geraunze: "Hab'm schon. Steht alles voll bei uns." Und so weiter. Wo blieben die Kinder?
"Wo bleiben die Kinder?" Das fragt man sich, wenn nur missmutige Greise an der Hütte vorüber gehen und raunzen: "Hamma-schon-alles..."
Neben der Vier-Meter-Hütte durfte meine Frau ihre Verkaufsfläche um zweieinhalb Meter erweitern. Ein Neubau der Hütte kam nicht in Frage. Ihr Kleingeschäft wirft solche Summen nicht ab, eine neue Hütte bauen zu lassen. Also kam sie als Klein-Unternehmerin auf die Idee, Schlitten auf dem Weihnachtsmarkt zu verkaufen. Als Blickfang sollte uwe ein Krippe bauen. Die Krippe hat Uwe so solide gebaut, dass schon zwei, drei Jäger sie nach dem Ende des Marktes kaufen wollten. Wir haben ihnen dann immer die Adresse von Uwe gegeben. Doch Uwe wird keine Krippe mehr bauen. Uwe wird am Freitag begraben. Auch die Vögelhäuser, die Uwe mit Hölzern aus dem Wald hinter seinem Haus gebaut hat, sind alle verkauft. Sein Sohn kann keines der kleinen Kunstwerke mehr im Gedenken an den Vater bekommen. Mein Marktweiblein hat alle Vogelhäuschen schon im ersten Jahr verkauft. Über die Schlitten hat Mima in der Krippe Vogelhäuser aufgehängt. Für die nächsten Märkte haben wir Vogelhäuschen aus Tschechien geholt. Bis auf eines sind auch diese alle wieder verkauft.
Umsätze und Gewinn sinken seit Jahren: Drei Ursachen sind für mich leicht auszumachen.
1. Alte Menschen erinnern sich zwar gern an ihre Jugend, wo sie mit Blechspielzeug spielten, kaufen aber keines mehr.
2. Es gibt immer weniger Kinder. Also kaufen die Alten für ihre Enkel auch weniger.
3. Seit Jahren verteilen die herrschenden Eliten das Geld von unten nach oben, nicht zuletzt um exorbitante Manager- und Bangster-Boni zu finanzieren und deren bankrotten Geschäfte zu retten.
Propaganda oder Tatsachen? Unzählige Berichte beschreiben die Situation. Doch jeder liest immer nur das, was ihm gefällt, wozu man sein "LIKE-IT-KNÖPFCHEN" drückt.
In den letzten beiden Wochen besserte sich der Umsatz - endlich. Wie in theatralischer Comedy-Show, wie ein Marktschreier konnten kaum Besucher an unserer Hütte vorbeigehen, ohne über meine Ansprache zu lächeln: "Licht, Spiel, Duft und Glanz aus unserer Hütte für Ihre Hütte!" Die Marktfrau vom Strumpfstand gegenüber dröhnte dagegen: "Alles billig! Heute alles billiger!"
Die Marktfrau vom Strumpfstand gegenüber dröhnte dagegen: "Alles billig! Heute alles billiger!"
Mein Gefühl wollte nicht weichen, mein Gefühl, dass Marktkaufleute als gesellschaftliche Unterschicht um ihr Geld kämpfen. Doch Marktkaufleuten geht es vergleichsweise gut. Einige Menschen aus Kasachastan säubern die Toiletten. 50 Cent kostet der Klo-Besuch. Marktkauf-Leute erkämpfen sich dort freien Zugang. Nach einer frierend frustrierenden Stunde in der Marktbude ohne einen einzigen Verkauf gibt es kein Mitgefühl mehr für die Toilettenfrau, die 50 Cent von einem frierenden Pisser fordert und mich dazu am Ärmel festhält: "Sie fassen mich nicht an!" zischt es wütend aus mir.
Die Menschen aus Kasachstan, die die Toilettenanlagen warten dürfen, sind immer noch nicht das untere Ende der sozialen Schicht. Busladungen von Bettlern, vermutlich aus Rumänien, knien in Scharen an vielen Punkten der Stadt, um Almosen zu gewinnen.
Anderntags arbeitet dort einer ihrer Kollegen. In radebrechendem Russisch-Deutsch lächelt er mir zu und meint: "Hitler tot!" Wir lachen beide, werden wie Freunde. Mima schenkt ihm ein paar Kleinigkeiten aus ihrer Hütte, selbst geknetete Blütenkerzen.
Diese Musikanten beschallen gerade die Gasse, in der Mima in ihrer Hütte Spieluhren verkaufen will. Doch der Klang dieser zarten Geräte geht unter, wenn die Flöten aus den Anden pfeifen.
Endlich stellt sich etwas besserer Umsatz ein, endlich. Als erstes sind die größeren Vögelhäuser verkauft, selbst als Mima sie noch um drei Euro teurer gemacht hat. Eine feine Dame flötet: "Haben Sie denn nicht mehr das Haus mit den schönen Schindeln? Nein?! Das ist aber schade. Heute ist mein Mann nämlich da, der es zum Auto tragen kann."
Mima führt ein Spielzeug vor. Doch Besucher mit Glühwein oder Bratwurst-Brötchen lassen sich lieber unterhalten als etwas zu kaufen.
Die Autos stehen 40 Meter weiter unter unserer Markthütte in der Tiefgarage. Mir ist mein Marktweiblein, was meistens lacht und scherzt, lieber. Wir werden zu einem Team, was unglaublich gut harmoniert. Wieder einmal sind Schiebelehnen für ihre Schlitten verkauft. Ein Stück kostet 48 Euro. In einer Garage lagert ihr Nachschub. Auf dem alten Damenfahrrad, was wir von meiner mittlerweile 90jährigen Tante geholt haben, karre ich ihren Nachschub heran. Vier zusammengeklappte Schiebelehnen hängen mir über eine Schulter. Der Fußgängerweg erscheint mir sicherer für die fragile Fracht. Ein oberlehrerhafter Gut-Bürger gibt unwillig den Weg mir frei auf dem Bürgersteig, nicht ohne mich anzumaunzen: "Das ist kein Fahrweg." 400 Meter vor dem Markttrubel bleibt das Rad verschlossen stehen. Auf jeder Schulter zwei Lehnen kämpft sich mein erschöpfter, entnervter Körper und Geist an einem der zahlreichen Kruzifixe vorbei zur Markthütte. Mima verkauft fröhlich wie immer und freut sich über den Nachschub. Dass es regnet, wie meistens, ist klar.
Auf jeder Schulter zwei Lehnen kämpft sich mein erschöpfter, entnervter Körper und Geist an einem der zahlreichen Kruzifixe vorbei zur Markthütte.
Schon liegen die Schiebelehnen unter dem Dach von Uwes Krippe, was Mima mit echten Lärchenholzschindeln hat decken lassen. Wie diese kleine Unternehmerin auf diese Ideen kommt, Freunde findet, die ihr helfen, ihr gerne helfen, sie lieben, mit ihr lachen. Mir ist das ein Rätsel. Meine Liebe zu ihr ist ihr Geheimnis, ihr größtes Geheimnis.
Manchmal sind mir die Massen am Markt geradezu unerträglich. Doch die Zeit geht vorüber - wie Menschen an Markthütten.
Manchmal sind mir die Massen am Markt geradezu unerträglich. Die Energie der Menschen klärt manchmal spürbar mein erster Blick. Die Einen wollen sich unterhalten lassen, lachen mit ihrem Glühwein in der Hand. Nach der dritten, vierten Vorführung von einem Kreisel, einem Blechspielzeug chinesischer oder indischer Wertarbeit, reicht es mir: "Nun", bedrängt sie mein Ton bedrohlicher, "nun, für was wollen Sie sich entscheiden?" Das reicht meist, dass sie mit ihren Glühwein-Näpfen lachend und dankend weiter ziehen.
Am Wochenende hilft uns eine fähige junge Verkäuferin, die meiner Mima in Art und Aussehen schon recht ähnlich ist. Beide zusammen wirbeln in der Hütte so erfolgreich, dass ein paar Stunden Freizeit auch meine Wochenenden angenehmer gestalten. Am besten erholt sich mein Körper in der Sauna-Oase im Bambados. Der Weg mit dem Fahrrad dahin ist kalt und etwas mühsam, aber machbar.
Mit unseren "Lastenfahrrädern" bewältigen wir Transporte und Wegstrecken in Bamberg.
Meine Freizeit-Stunden zwischen den Markt-Kauf-Kämpfen gleichen einem geruhsamen Mittelschicht-Rentner-Refugium. Dann entspannt mich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und Gurdjieffs Buch "Beelzebubs Erzählungen an seinen Enkel." Die Zeitung bringt den täglichen Kriegs- und Krimi-Bericht. In der Woche vor Heilig Abend marschierten marschieren vierhundert Einsatzkräfte von Polizei und Steuerfahndung in die DEUTSCHE BANK. Die Polizeibeamten bunkern gleich vier Bangster ein. Der Vorstand beschwert sich bei einem Politiker. Darüber heult die Medienmeute, als wäre der Vorstand einem Hund auf den Schwanz gestolpert. Auf dem Tahir-Platz in Kairo prügeln sich die Massen munter weiter. Die Scharia als Staatsräson macht Sektierern wie der christlichen Minderheit das Leben zur Hölle. Durften zuvor befreundete Diktatoren-Regime ihre Mitbürger foltern, ausplündern und morden, führen nunmehr fromme Muslim-Brüder das blutige Geschäft fort. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Wo nicht genug zu fressen für alle bleibt, da sterben die Schreie - für immer. In Syrien soll der Krieg schon 40.000 Opfer gefordert haben. Soweit die Zeitung - kurz gefasst. Mein Marktweiblein braucht die Zeitung - als Packpapier.
Das Wasser der Regnitz fließt gemächlich durch das alte Bamberg, welches auf einen mehr als 400 Jahre alten nahezu unveränderten Altstadt-Straßenplan stolz ist.
Meine Mimamai war meist vor sechs Uhr früh schon munter. Sie hat sich dann selbst ein Mittagsmahl vorbereitet. Während ihrer Mittagspause hat sie dann ihre Schuhe gewechselt, kaum geruht. Dann klopfte sie wieder an die Holztür ihrer Hütte. Als der Umsatz anfangs so schleppend lief, wollte sie nicht wissen, was wieder nicht verkauft war. Sie sah es ja schon an meinem Gesicht.
Der Weihnachtsmarkt bietet Speis' und Trank im Übermaß. Ein chinesisches Klein-Lokal, vormals das "Bratwurst-Stüberl", verkauft Gemüsesuppe für 1,60 Euro. Den Kloschlüssel verwahrt die Chefin. Es ist warm dort. Es ist so warm, dass sich der Körper von Fellmütze, von Daunenjacke, von Strickjacke und Weste entlasten kann. Nach dem Genuß einer Gemüsesuppe hat der Organismus wieder soviel Wärme gespeichert, dass es weiter gehen kann im Verkaufstrubel. Ein Gericht wie Gemüse mit Tofu kostet 4,50 Euro, die große Portion sechs Euro. Während man dieses Gericht in Ruhe verzehrt, kann man schon bald den Mantelteil der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG studieren - zumindest die Leitartikel. Das sind Sternstunden meines Mittelschichten-Gefühls!
Endlich, endlich ist der Markt vorüber. Am ersten Abend bauen wir Uwes Krippe ab. Damit geht die erste Wagenladung mit der Ladung aus dem Anhänger in Mimas Garagenlager. Es hat den ganzen Tag, auch beim Abbau, geregnet. Die beiden Bodenbretter von Uwes Krippe sind schwer wie Klaviere. Am nächsten Abend folgt der Abbau der Hütte. Zuvor verstauen wir alle unverkaufte Ware vorsichtig durch Zeitungspapier geschützt in Bananen-Kartons. Mein Marktweiblein schleppt seit 30 Jahren Bananenkartons mit ihren Waren. Die Hütte aus 10 Seitenteilen, vier Bodenplatten, den neun Dachsparren und der Plastikplane als Dach ist im Anhänger verstaut. Zuletzt müssen wir alles im Garagenlager verstauen. Danach erstmal erschöpfte Bettruhe. Aufräumen muss und macht mein Marktweiblein wie immer ohne mich.
Endlich, endlich ist der Markt vorbei!
Freie Tage, freie Fahrt: Es ist ein ganz neues Lebensgefühl, wieder zusammen freie Zeit zu genießen.
Nach einem gemeinsamen Weihnachtsfest-Essen mit 11 Menschen beim einfachen Chinesen am Markt schmücken wir noch das Grab von Mimas Eltern, ohne die wir nicht zusammen wären.
Doch wenn das alte Laub gegangen, kommt im Frühjahr frisches Grün.
Alt und jung schaut staunend in die Welt voller Seligkeit.
Nun leben wir wieder im Auto, in unserer "Walkuh". Die Ferienwohnung ist geräumt, doch wir bleiben in Bamberg auf dem WoMo-Stellplatz. Dort gibt es seit letztem Jahr Strom. Dafür stieg der Preis von einem auf 12,00 Euro plus Strom. Doch Uwes Abschiedfest wollen wir nicht versäumen.
Der Raum zur Andacht war zu klein für alle, die Uwe die letzte Ehre erweisen wollten. Etwa 70 Menschen drängten sich in dem Raum, die meisten standen - bis in den Flur. Wir sahen Bilder von Uwes jungen Jahren, mit seinen Kindern und Freunden. Mit den Klängen von den DOORS erinnerten wir mit "Riders on the storm" wilde Jugendjahre. Uwe hat sich mit aller Kraft aus-gelebt. Noch wenige Tage vor seinem Tod hat er seinem Sohn geholfen, dessen alten VW-Bus flott zu machen.
Das festliche Zusammenkommen seiner Kinder und Verwandten, seiner zahlreichen Freunde war eines Fürsten würdig. Wir feierten auf der Altenburg, dem höchsten Punkt in Bamberg. Geschichten gemeinsamer Erinnerung tauschten wir aus. Uwe war ein Magnet in der schon engen nachbarschaftlichen Gemeinschaft der Bamberger.
Unser Blick geht zurück auf die nächtliche Altenburg, hoch über Bamberg. Durch die edlen in Bleirahmen verglasten Fenster sahen wir auf das Lichtermeer von Bamberg, den Dom mit seinen vier Türmen. Wie Uwe unvergesslich in unseren Herzen weiter lebt - so auch sein Abschied.